Zur Eskalation in Israel/Palästina und der Debatte in der BRD

Ein Plädoyer der Initiative gegen Krieg und Militarismus Bielefeld

(English Version below)

Die letzten Tage waren geprägt von Nachrichten über Gewalt und Krieg gegen die Zivilist*innen in Israel und Palästina. Vieles ist dazu schon gesagt worden (wir haben einige gute Einschätzungen unten verlinkt), doch ein öffentlicher, kritischer Diskurs in der Linken bleibt aus.

Angesichts der allgemeinen kriegsverherrlichenden Stimmung halten wir es für notwendig, uns als antimilitaristische Initiative zu positionieren. Wir sehen, dass weltweit staatliche Gewalt im Inneren wie Äußeren zunimmt. Mit Sorge blicken wir auf die militärische und diskursive Aufrüstung. 

Die von den Hamas geführte Offensive als antikolonialen Befreiungsschlag darzustellen, halten wir für grundlegend falsch. Der Hamas dienten die letzten Jahrzehnte dazu, den linken, progressiven und antikolonialen Widerstand in Palästina auszuschalten, sowie jeden, der sich für eine friedliche Lösung des Konfliktes einsetzt. Die islamistisch- fundamentalistische Agenda der Hamas wurde teils unterstützt durch reaktionäre Staaten. Sie folgen einer eigenen religiös- antisemitischen Ideologie, die die „Moderne“ als Feinbild markiert und die sich nicht durch die jahrzehntelange israelische Unterdrückung legitimieren lässt.

Trotzdem sehen wir die Notwendigkeit hier eine historische Einordnung vorzunehmen. 

Die Bevölkerung von Gaza wurde jahrzehntelang in einem Freiluftgefängnis unterdrückt, ausgehungert und bombardiert. Entwicklungsmöglichkeiten und Perspektiven hat es nach dem Scheitern der Osloer Vereinbarungen und der sog. Zwei- Staatenlösung nicht gegeben!

Es wäre zynisch zu erwarten, dass eine Bevölkerung unter diesen Umständen zu jedem Zeitpunkt eine kritische Distanz zu einem militanten Widerstand aufbringt. Es ist zu kurzsichtig sich über den Einfluss von islamistischen Terror im Gazastreifen zu beschweren, ohne zu berücksichtigen, dass es für derartige Ideologien keine bessere Ausgangslage gibt als eine völlig verelendete Gesellschaft mit einem klaren Feindbild. Die Ignoranz der Tatsache gegenüber, dass die Hamas von Israel selbst gefördert wurde, um progessive Kräfte zu schwächen, zeigt, dass kein tatsächliches Interesse an einer ausführlichen historischen Aufarbeitung des Konflikts besteht.

Eine völlige Unfähigkeit, die jetzige Eskalation geschichtlich einzuordnen, wird auch in großen Teilen der Linken aus der bürgerlichen Meinungsmehrheit unkritisch übernommen. Wir sind schockiert über den gesellschaftlichen Konsens der „Israelsolidarität“, der sich im Parlament durch Einstimmigkeit von Linkspartei bis AFD, von Meloni bis Labourpartei ausdrückt. Seine „Solidarität“ mit bürgerlichen, kapitalistischen Staaten zu verkünden, die in einem nie zuvor gewesenen Ausmaß aufrüsten, die überall vorherrschende Propaganda, dass Krieg und Militarismus die  Antwort auf Krisen sind, kann keine vernünftige, revolutionäre oder emanzipatorische Position sein.

Der entfesselte Rassismus im Diskurs um die massiven Angriffe auf den Gazastreifen ist nicht zu übersehen und wäre in anderen Fällen bis in weite Kreise der Gesellschaft ein Aufreger. Jetzt löst die Beschreibung der palästinensischen Bevölkerung, beispielsweise als „menschliche Tiere“ seitens des israelischen Verteidigungsministers, höchstens ein bedauerndes Schulterzucken aus. Ein Hinterfragen der Solidarisierung mit einem Staat, in dessen Regierung rechtsnationalistische bis faschistische Politiker*innen sitzen, in dessen Namen solche Aussagen getroffen werden, kommt niemandem in den Sinn.

Auch in der BRD, unserem politischen Umfeld und Kampffeld, sehen wir diese starke Polarisierung. Während antisemitische Angriffe auf jüdische Einrichtungen sprunghaft zunehmen, reagiert der Staat nicht nur mit präventivem Schutz dieser Einrichtungen, sondern mit massiver Gewalt und Repression gegen palästinasolidarische und kriegskritische Stimmen. Die antisemitische Pauschalverurteilung, die gerade weltweit und auch in Deutschland zu einer massiven Gefährdung jüdischer Menschen führt, muss konsequent bekämpft werden. Die Bekämpfung von Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft muss allerdings auf der Basis unseres antifaschistischen Kampfes geschehen und dieser kann sich, wie wir wissen, nicht auf den Staat verlassen. Die absurde Annahme, dass die deutsche Polizei, deutsche staatstragende Politiker*innen und das deutsche Militär Institutionen seien, auf die sich bei der Bekämpfung von Antisemitismus verlassen werden kann, teilen wir nicht.

Einer der Faktoren für die aktuellen antisemitischen Angriffe ist die Gleichsetzung jüdischer Menschen mit der Regierung und dem Staat Israels. Dagegen müssen wir uns mit aller Kraft stellen. Eine neue Qualität hat diese, in anderer Form leider alltägliche, Gewalt in Form von der Kriminalisierung jüdischer Aktivist*innen, welche die israelische Politik kritisieren, angenommen. So zum Beispiel das Verbot einer Demo von der Organisation „jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. Unter öffentlichem Applaus geht ein Video viral, in dem ein Lehrer einen Schüler mit Kufiya und Palästinaflagge schlägt. Die bürgerliche Presse redet von nichts als dem Hamasterror und iraelischen „Vergeltungsschlägen“, dort, wo vor einem Monat blau-gelb wehte, ist nun blau-weiß allgegenwärtig.

Was ist in dieser katastrophalen Ausgangssituation nun die Perspektive für uns Antimilitarist*innen und linken Kräfte?

Die im Zuge des Ukrainekriegs sowieso schon prekäre Lage einer Antikriegsbewegung ist nun gesellschaftlich vollends in die Ecke gedrängt worden. Antimilitaristische, internationalistische, antikoloniale und antinationalistische Positionen sind nicht nur dem „üblichen“ Maße an gesellschaftlicher und staatlicher Gegenmacht ausgesetzt, sie werden im öffentlichen Diskurs moralisch diskreditiert.

Dieser Krieg existiert nicht in einem Vakkuum, sondern ordnet sich ein in die allgemeine globale militärische Eskalation. Die innerhalb weniger Wochen eskalierenden, asymmetrischen und andauernden Kriege in Bergkarabach, Kurdistan und Gaza sind furchtbare Ausblicke darauf, wie Kriege aktuell und in Zukunft gezielt gegen Zivilist*innen geführt werden. Die Gefahr einer Eskalation, auch unter potentieller Anwendung von atomaren Waffen, ist realer denn je. Auf uns kommen harte Zeiten zu. Wir dürfen uns jedoch nicht vor der gesamtgesellschaftlich eindimensionalen politischen Härte verstecken. Der kriegstreiberischen Entwicklung gilt es entschlossen, solidarisch, im achtsamen Umgang miteinander entgegenzutreten.  Wir müssen an die Bevölkerung, an diejenigen, die im kapitalistischen Alltag und in den Kriegen der Herrschenden nichts zu gewinnen haben, mit inhaltlicher Klarheit und einem politischen Gegenprogramm herantreten.

Dafür ist es nötig, dass wir uns den schwierigen und komplizierten Fragen stellen, und nicht schweigen, weil das Thema unangenehm und polarisierend ist.

Wir müssen uns gegen die Kriminalisierung von Protest, den Rassimus und Antisemitismus, gegen die völlige Einseitigkeit im Diskurs stellen. Für Frieden in Israel, Palästina und weltweit!

On the escalation in Israel/Palestine and the discourse in the FRG.

A Plea of the Initiative against War and Militarism Bielefeld

The last days have been marked by news about violence and war against civilians in Israel and Palestine. Much has been said about this, but a public, critical discourse in the left in Germany remains absent.

Given the general war-glorifying mood, we feel it is necessary to position ourselves as an anti-militarist initiative. We see that state violence is increasing worldwide, both internally and externally. We look with concern at the military and discursive armament.

We consider it fundamentally wrong to celebrate the Hamas-led offensive as an anti-colonial liberation strike. Hamas has used the past decades to eliminate leftist, progressive and anti-colonial resistance in Palestine, as well as anyone working for a peaceful solution to the conflict. Hamas‘ Islamist fundamentalist agenda has been supported in part by reactionary states. They follow their own religious anti-Semitic ideology, which marks „modernity“ as the enemy and which cannot be legitimized by decades of Israeli oppression.

Nevertheless, we see the need for a historical classification here. The population of Gaza was oppressed, starved and bombed for decades in an open-air prison. After the failure of the Oslo Accords and the so-called two-state solution, there have been no development opportunities or prospects!

It would be cynical to expect a population under these circumstances to maintain a critical distance from militant resistance at all times. It is too short-sighted to complain about the influence of Islamist terror in the Gaza Strip without taking into account that there is no better starting point for such ideologies than a completely impoverished society with a clear enemy image. Ignorance of the fact that Hamas was promoted by Israel itself in order to weaken progressive forces shows that there is no real interest in a detailed historical reappraisal of the conflict.

The unleashed racism in the discourse surrounding the massive attacks on the Gaza Strip cannot be overlooked, and in other cases would be an uproar even in wide circles of society. Now, the description of the Palestinian population, for example, as „human animals“ on the part of the Israeli defense minister, elicits at most a regretful shrug of the shoulders. A questioning of the solidarity with a state, in whose government right-wing nationalistic to fascist politicians sit, in whose name such statements are made, comes nobody into the sense.

In the FRG, our political environment and battlefield, we also see this strong polarization. While anti-Semitic attacks on Jewish institutions are increasing by leaps and bounds, the state reacts not only with preventive protection of these institutions, but with massive violence and repression against Palestinian solidarity and war-critical voices. The anti-Semitic blanket condemnation, punishing jews for Israels politics, which leads to a massive endangerment of Jewish people, especially worldwide and also in Germany, must be fought consistently. However, the fight against anti-Semitism in German society must be based on our anti-fascist struggle and this, as we know, cannot rely on the state. We do not share the absurd assumption that the German police, German politicians and the German military are institutions that can be relied upon to combat anti-Semitism.

One of the factors behind the current anti-Semitic attacks is the equation of Jewish people with the government and state of Israel. We must oppose this with all our strength. This violence, which is unfortunately commonplace in other forms, has taken on a new quality in the form of the criminalization of Jewish activists who criticize Israeli policies. For example, the banning of a demonstration by the organization „Jewish Voice for Just Peace“. To public applause, a video goes viral of a teacher beating a student with a kufiya and a Palestinian flag. The bourgeois press talks of nothing but Hamas terror and Israeli „retaliatory strikes“; where blue and yellow flew a month ago, blue and white is now ubiquitous.

What is the perspective for us anti-militarists and left forces in this catastrophic situation?

This war does not exist in a vacuum, but is part of the general global military escalation. The asymmetric and ongoing wars in Nagorno-Karabakh, Kurdistan and Gaza, which escalated within a few weeks, are terrible examples of how wars are currently being waged against civilians and will be in the future. The danger of escalation, including the potential use of nuclear weapons, is more real than ever. We are facing hard times. However, we must not hide from the one-dimensional political harshness that is affecting society as a whole. The war-mongering development must be countered with determination, solidarity and respectful interaction with one another.  We have to approach the population, those who have nothing to gain in everyday capitalist life and in the wars of the rulers, with clarity of content and a political counter-program.

For this, it is necessary that we face the difficult and complicated questions, and not remain silent because the topic is unpleasant and polarizing. We must oppose the criminalization of protest, the racism and anti-Semitism, the total one-sidedness in the discourse. For peace in Israel, Palestine and worldwide!

Eine Auswahl an Beiträgen: 

https://www.akweb.de/politik/iran-israel-gaza-wie-teheran-mit-palaestina-politik-macht/

https://www.woz.ch/2341/die-lange-geschichte-der-eskalation/es-bleibt-nur-der-friedensweg/!EK6104XB2BH

https://anfenglish.com/news/kck-the-palestinian-and-kurdish-question-can-only-be-solved-by-overcoming-the-nation-state-mentality-69794

https://www.medico.de/blog/krieg-ohne-aufmerksamkeit-19223

https://www.medico.de/unter-schock-und-unter-bomben-19225

https://jewishcurrents.org/the-strange-logic-of-germanys-antisemitism-bureaucrats

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